The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China by Rehage Christoph

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China by Rehage Christoph

Autor:Rehage, Christoph [Rehage, Christoph]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2012-06-17T22:00:00+00:00


FRÜHLING

KEINE WIDERREDE

17. März 2008: Dianzhang, Zentralebene von Shaanxi

Ich liege unter einem Apfelbaum, und es ist so warm, dass ich meine Jacke, mein Fleece und sogar mein T-Shirt ausgezogen habe. Die Welt duftet nach Frühling. Ich sehe einer Biene zu, die sich an einer noch kaum geöffneten Blüte zu schaffen macht, und einen Moment lang wundere ich mich über mich selbst, denn ich spüre keine Angst vor ihr. Ich wäre wohl ohnehin viel zu faul, um aufzuspringen und wegzulaufen, aber vorsichtshalber behalte ich sie im Auge. Sie fliegt zu einer anderen Blüte und zappelt hektisch darin herum.

Ich habe mich von Xianyang aus nach Nordwesten gewandt. Es gibt zwar eine weniger bergige Route nach Lanzhou, aber ich wollte unbedingt den Grabhügel der Kaiserin Wu Zetian sehen und die Stadt Pingliang. Dort war ich vor zwei Jahren schon einmal, und ich möchte wissen, ob sie sich verändert hat.

Ich stehe auf und ziehe mir mein T-Shirt wieder an. Ich befinde mich mitten in einer Obstplantage, um mich herum stehen niedrige Bäume, so weit das Auge reicht. Die meisten blühen noch nicht, aber man sieht ihnen an, dass sie nur noch ein paar Stunden oder Tage Sonnenschein benötigen, um sich in ein ganzes Meer aus Blüten zu verwandeln. Die Biene wird verrückt werden bei so viel Auswahl.

Mein Zielort für diesen Abend heißt Liquan. Als ich ankomme, sehe ich überall Kinder: Sie sitzen an winzigen Tischchen vor den Hauseingängen und machen Schulaufgaben, sie laufen auf den Bürgersteigen hintereinander her, und die ganz Kleinen, die noch unten geschlitzte Hosen anhaben, stolpern zwischen den Beinen ihrer Eltern herum und quietschen aufgeregt.

Dummerweise vergesse ich bei diesem Anblick völlig, mich um eine Übernachtung zu kümmern. Ich spaziere durch die Straßen der Kleinstadt, winke den Kindern zu und mache Fotos, und unversehens habe ich den ganzen Ort einmal der Länge nach durchquert und stehe wieder auf der Landstraße in Richtung Nordwesten.

An einem Massagesalon sehe ich ein Schild mit dem Hinweis ZIMMER, also frage ich nach einem Bett für die Nacht. Als der Manager bemerkt, dass ich Schwierigkeiten mit meinem Fuß habe, lässt er es sich nicht nehmen, mich zu einer Fußmassage einzuladen. Entsetzt wehre ich ab, doch er missversteht mich. Er glaubt, ich sei höflich. Also tut er das, was jeder vernünftige Mensch in seiner Situation tun würde: Er zwingt mich zu meinem Glück. »Keine Widerrede!«, flötet er und schiebt mich in Richtung einer Tür. »Wenn unser ausländischer Freund schon so weit durch unser China gelaufen ist, dann können wir ihm ja zumindest eine Fußmassage anbieten!«

Die Tür kommt näher. Was soll ich tun? Es bleibt nur das letzte Mittel: die peinliche Wahrheit. »Ich habe Fußpilz«, flüstere ich und blicke zu Boden, bevor ich rot werde.

»Ja, und?«, lacht er. »Das ist doch kein Problem!«

Wir nehmen in einem Warteraum Platz und trinken Tee. Die Massagemädchen tragen eine gelb-schwarze Uniform, die aussieht wie ein Jogginganzug, der Raum ist sehr geräumig und sehr hell. Es ist definitiv anders als in dem Massagesalon in meiner Beijinger Nachbarschaft, denke ich. Dort war das Licht immer rötlich gedämpft, und manchmal konnte man Kichern und Stöhnen hören.



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